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Schellingstraße 94, 80798 München, Deutschland

Heute Nacht um 0:01 wird meine Reise in die Highlands beginnen (zumindest, sofern die Deutsche Bahn pünktlich ist – doch wann ist sie das schon). Doch da meine Motivation zum Koffer packen bisweilen unauffindbar ist, vertreibe ich mir die Zeit damit, über die Hintergründe meiner Reise zu schreiben.

Als ich vor etwa zwei Jahren auf einer dieser Reisen einen schmalen Küstenpfad im Osten Schottlands entlangwanderte, entdeckte ich eine Höhle, die eine beinahe schon magische Faszination ausstrahlte. Es stellte sich heraus, dass in dieser Höhle einst ein Mann Namens Charlie gelebt hatte. Und Charlie veränderte mein Leben.

Im ersten Weltkrieg hatte er der französischen Armee als Marinesoldat gedient. Doch als sein Schiff im Süden Englands eine Weile vor Anker lag, müssen ihm Zweifel an der Sinnhaftigkeit seiner Tätigkeit gekommen sein. Eine altbekannte Gefahr der Stille, weswegen wohl so viele vor ihr davonlaufen. Und hier wird es spannend: Die meisten Menschen in seiner Lage hätten sich damit beruhigt, sich einzureden, doch schlicht keine Wahl zu haben. Vielleicht wären sie von Albträumen geplagt worden, wahrscheinlich hätten sie sich mit immer fahler werdenden Gesichtern über ihr Schicksal beklagt, doch nie hätten sie etwas an ihrer Situation geändert. Sie hätten die Stunden und Jahre bis zur Rente gezählt oder zumindest auf ein baldiges Kriegsende gehofft.

Nicht so Charlie. Charlie lehrte mich, dass man im Leben immer eine Wahl hat. Die Frage ist nur, zu welchem Opfer man bereit ist. Er also fasste den Entschluss, zu desertieren und lief mit leeren Händen und ohne einen Pence in der Tasche 200 Tage lang die Ostküste Großbritanniens hinauf. Dabei ernährte er sich hauptsächlich von Algen – er war Vegetarier. Als er schließlich an ebenjene Höhle kam, entschied er sich, an diesem Ort sesshaft zu werden. Aus Treibholz baute er sich Möbel und eine Hütte. Zwei Katzen liefen ihm zu und er begann, Gemüsebeete anzulegen. Mit der Zeit freundete er sich mit den Bewohnern des nahen Dorfes an, die ihn fortan regelmäßig besuchten, um sein Gemüse zu kaufen und seinen Einsichten zuzuhöhren. Um die Romantik der Geschichte nicht zu zerstören, verzichte ich an dieser Stelle auf die Erzählung seines tragischen Endes, das sich dann 13 Jahre später ereignen sollte. Doch bis dahin war er ziemlich sicher ein beneidenswert glücklicher Mensch gewesen.

Als ich im Herbst 2022 von dieser Reise zurück nach München kehrte, begannen sich zunehmend Zweifel auch an meiner eigenen Tätigkeit breitzumachen. Ich arbeitete in der IT-Branche und durfte mich dann als erfolgreich bezeichnen, wenn dank meiner Arbeit pro Website-User durchschnittlich 1,7 statt 1,5 Proteinshakes im Warenkorb landeten. An besonders erfolgreichen Tagen entschieden sich x+1% der User sogar für den Abschluss eines Proteinshake-Abos. Die Welt wurde dadurch zwar nicht besser, aber immerhin definierter. Was aber sagte Charlie dazu? – Rebecca, man hat eine Wahl. Immer. Und der Rest ist Geschichte.

Doch noch etwas habe ich von Charlie gelernt: Wenn man mit so wenig zum Leben auskommt wie er es tat, muss man seine Träume nicht zugunsten einer Altersvorsorge zurückstecken (für ein Alter, das man womöglich nie erreichen wird). Wer in einer Höhle wohnt, muss keinen Kredit abbezahlen und wer sich von Algen ernährt, braucht keine Proteinshakes.

Doch wie viel oder wenig brauche ich selbst eigentlich zum Leben? Und wo liegen die Grenzen meiner Freiheit? Um das herauszufinden, werde ich für vier Wochen meine Wohnung samt Kühlschrank, Dusche und Daunenbett gegen Transporter, Zelt und Midges eintauschen (und ja, natürlich werde ich mich dafür verfluchen). Zugegeben, damit habe ich immer noch weit mehr, als Charlie je hatte. Doch es ist zumindest eine erste Annäherung. Algen schmecken mir im Übrigen auch nicht.

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Flügelbahnhof, Bahnhofpl. 2, 80335 München, Deutschland

Bis zuletzt versprach die App der Deutschen Bahn eine pünktliche Abfahrt. Doch als es dann soweit war, fiel dem ICE auf, dass Mitreisende fehlten, die noch in anderen verspäteten Zügen saßen.

Doch solange all die anderen Züge Europas auf mich als Mitreisende dann ebenfalls warten werden, verzeihe ich alles.

Ein paar Minuten bevor ich zum Bahnhof aufbrechen musste, war ich daheim noch auf die Idee gekommen, das am Boden wartende Gepäck zu wiegen. Und musste feststellen, dass ich mit absurden 52kg unterwegs bin. Es ist mir völlig unbegreiflich, wie das passieren konnte. Hatte ich das Packen doch bis zuletzt aufgeschoben, um ein zu viel an Packen zu vermeiden. Nicht einmal die 16 Bücher vom letzten Jahr habe ich eingepackt und nicht mehr als vier T-Shirts. Das Gewicht muss sich einfach so eingeschlichen haben.

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Trankgasse 11, 50667 Köln, Deutschland

Eigentlich schien die Fahrt gut zu verlaufen. Doch kurz vor Köln stelle mein ICE dann plötzlich fest, dass sich das deutsche Bahnnetz in einem desolaten Zustand befindet. Eine bestimmte Schiene konnte nicht mehr befahren werden, was dazu führte, dass die Strecke nach Köln nur noch einspurig nutzbar war und wir zu einem langen Stillstand genötigt wurden. Die Zugbegleiterin sprach aufmunternd von „Sperrungen, stecken geblieben Zügen vor uns, Chaos, ich weiß das jetzt auch nicht“.

Über eine Stunde später kam ich dann doch noch in Köln an – inzwischen zumindest ausgeschlafen. Den Anschlusszug erwischte ich trotzdem – denn dieser hatte ebenfalls über eine Stunde Verspätung. Ob ich es so jedoch in Brüssel rechtzeitig durch die Sicherheitskontrolle und weiter durch den Tunnel nach London schaffe, ist höchst fraglich.

Pro-Tipp: Wenn sich in 52kg Gepäck neben unerklärlichem Gewicht auch ein Schlafsack und ein Kopfkissen befinden, lässt sich der 1. Klasse-Wagen zu einem Schlafwagon mit maximalem Komfort ausbauen.

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Pl. Victor Horta 11, 1060 Saint-Gilles, Belgien

Der zweite ICE war derart verspätet, dass er auf halben Weg einfach aufgab. In seinen Augen war es völlig sinnlos geworden, den Zielbahnhof Brüssel Midi anzufahren, da alle Anschlusszüge sowieso längst verpasst waren. Und so warf er uns auf halben Weg kurzerhand aus dem Zug und fuhr zurück nach Köln.

Ein eigensinniger ICE.

Am Bahnsteig lernte ich einen Juristen kennen, der mein Schicksal teilte. Zusammen gelangten wir schließlich mit irgendeiner belgischen Regionalbahn zum eigentlichen Zielbahnhof Brüssel Midi. Bei der Gelegenheit ließ ich mich von ihm vollumfänglich über meine Fahrgastrechte aufklären. Wenn man schon mal einen Experten trifft…

Dann in Brüssel Midi wurde ich auf einen späteren Zug durch den Tunnel gebucht – allerdings mit dem Vermerk, dass wegen der spontanen Umbuchung für mein Essen (das auf dieser Fahrt eigentlich serviert wird) nicht garantiert werden kann. Wo ich doch nur dafür Zug fahre! In der Zwischenzeit teilte mir dann auch noch meine Autovermietung mit, dass die Buchung meines Transporters storniert werden wird, wenn ich ihn nicht pünktlich um 18 Uhr abholen werde. Meine Reise geht also rundum gut los. Oder so.

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3679 Chem. Rouge Cambre, 62231 Coquelles, Frankreich

Die Deutsche Bahn stürzte mich mit ihrer Verspätung in eine kleine Reise-Krise. Da ich den Transporter nicht rechtzeitig abholen können werde, überlegte sich die Autovermietung, mir den selben Transporter bei morgiger Abholung einfach zum dreifachen Preis anzubieten. Ob der Verkäufer wohl manchmal von unerklärlichen Albträumen geplagt wird?

Und dann endlich erkannte ich den Fehler, weswegen meine Reise bisher so holprig losgegangen war: Ich war noch viel zu deutsch unterwegs gewesen, so lässt sich doch kein Abenteuer bestreiten! Als würde sich ein Abenteuer kontrollieren lassen oder sich irgendwelchen (meinen) Plänen unterwerfen! Das müsste ich inzwischen eigentlich doch besser wissen.

Also, alle Pläne verworfen, statt Transporter wird es ein spontan gebuchter Klein-SUV (wieso sollte man darin nicht auch wohnen können) und wann ich in Edinburgh ankomme, ist eigentlich egal.

Und plötzlich ist mir die Welt wieder wohlgesonnen. Dem Sicherheitsbeamte kann ich glaubhaft machen, dass ich mit meinem eingepackten Buttermesser wirklich niemanden anstechen will und er es mir daher nicht abnehmen muss, die Sitzplatzreservierung wird mir aus unerfindlichen Gründen geschenkt und im Zug wird mir endlich Essen serviert.

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Edinburgh

Nach der etwas turbulenten Reise kam ich irgendwann schließlich doch in Edinburgh an und konnte meinen neuen Gefährten abholen.

Für eine Wohnung ist er vielleicht nicht allzu groß, doch ganz ohne Gemütlichkeit ist er auch nicht.

Wobei mir noch nicht ganz klar ist, wie ich hier Ordnung halten soll – aber das ist eine Frage für andere Tage. Jetzt jedenfalls stehe ich \240an einem schottischen See und freue mich auf etwas Schlaf.

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Holl Reservoir Car Park

Die erste Nacht im Auto schlief ich erstaunlich gut – zumindest, bis ich dann um 6 Uhr Früh von motiviert blökenden Schafen geweckt wurde.

Glücklicherweise hatte ich nicht nur lärmende Tiere (die ich liebe), sondern auch einen See direkt vor meiner Tür. Und jetzt, nach einem morgendlichen Bad (und frisch gewaschenen Haaren – denn auch meine Komfortzone hat Grenzen) fühle ich mich ready für jegliches Abenteuer.

Ich höre doch die Highlands schon längst rufen! Doch vorher muss ich nach Perth fahren, um Campinggas zu besorgen. Ohne Wärmequelle sollte man die Highlands nie betreten, zumindest wenn man vorhat, womöglich über Nacht zu bleiben.

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Ginger Café Perth

Eigentlich wollte ich in Perth nur schnell Gaskartuschen kaufen und dann in die Highlands abtauchen

Doch auf der Fahrt nach Perth begannen die Figuren aus meinem Theaterstück plötzlich zu sprechen – wo sie doch die letzten drei Wochen in München vehement geschwiegen hatten. Wann immer ich versucht hatte zu schreiben, starrten sie mich nur mit müden, leeren Augen an und sagten kein Wort. Tag für Tag taten sie nichts anderes, als unbewegt wie träge Schatten im Raum zu stehen. Es wäre ein sehr langweiliges Stück geworden, wenn ich dennoch geschrieben hätte.

Jetzt also sprechen sie wieder. Und da ich mich mit all diesen Stimmen im Kopf eh nicht auf die Highlands konzentrieren könnte, sitze ich nun also schreibend im Café und höre ihnen zu.

Meine Figuren sind sehr fragile Wesen. Wenn es ihnen zu heiß ist, schweigen sie trotzend. Schon bei 25 Grad ist nichts mehr zu machen. Versuche ich dann, ihnen Druck zu machen (denn wo kämen wir denn hin, wenn jeder so arbeiten würde!?), zucken sie verängstigt zusammen und erstarren zu Felsbrocken. Und wenn sie einmal zu glücklich sind, tanzen sie lieber, als zu sprechen. Aber das kommt nicht so oft vor, meine armen Figuren haben allesamt so ihre Themen.

Doch wenn sie dann endlich einmal anfangen zu reden, erobern sie mein Herz! Auch wenn sie dann von mir fordern, sofort alles stehen und liegen zu lassen, um ihre Dialoge mitzuschreiben. Komme ich dem nicht nach, nehmen sie mir meine Unaufmerksamkeit sehr übel, werden missgelaunt und stumm. Und niemand weiß, wie lange es dann dauert, bis sie mir diese Kränkung verziehen haben.

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Glen Tilt Car Park

Nachdem ich mich am Vormittag zu Genüge um meine Figuren gekümmert hatte, setzte ich meinen Plan fort, in die Highlands zu fahren.

Als ich unterwegs getankt hatte und nach dem Zahlen gerade schon dabei war, die Tankstelle wieder zu verlassen, fragte mich die Verkäuferin, ob ich denn Kaffee geschenkt bekommen möchte. Einen Grund hierfür gab sie nicht an, aber auch ganz egal, klar wollte ich! Das sind diese kleinen Wunder, wie sie nur in Schottland passieren.

Als ich dann auf den Waldparkplatz fuhr, offenbarte sich mir ein großer Vorteil, nicht mit einem Transporter unterwegs zu sein (sondern stattdessen mit einem Gangster-SUV mit getönten Scheiben). Strenge Schilder untersagten es Vans und Campern ausdrücklichst, auf diesem Parkplatz über Nacht zu stehen. Mein SUV hingegen findet keine Erwähnung, er scheint hier wohl willkommen zu sein.

Zwar in vielen anderen Belangen praktisch, so ist es doch ein kleiner Nachteil meines mobilen Zuhauses, dass ich die Dusche jeden Tag aufs neue suchen muss. Heute Abend finde ich sie in Form eines kleinen (wenn auch etwas Moor-braunen) Flusses.

Zum Abendessen gibt es Reis mit Steinpilzen. Ich gebe zu, dass ich Dr.Oetker mit dem Kochen betraut habe – doch immerhin das Aufwärmen übernahm ich selbst. Und wie! In Perth hatte ich mich zum Kauf eines hochinnovativen Gaskochers bewegen lassen. Statt mit direkter Flamme kocht er vom Wind abgeschirmt mit Direkterhitzung (oder so, der Vortrag der Verkäuferin war sehr lang). Quasi ein Outdoor-Induktionsherd. Geht viel schneller und spart dabei auch noch 40% Gas. Spätestens mit diesem Argument war ich überzeugt – in der heutigen Zeit! Nach dem ersten Test bin ich begeistert – die Steinpilze hat er ganz vortrefflich erhitzt.

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Blair Castle

Nach einer langen, warmen und gemütlichen Nacht (beinahe 10 Stunden habe ich geschlafen!), suchte ich erneut ein Café, um an meinem Stück zu schreiben.

Erst dachte ich, im hässlichsten Café Schottlands geladet zu sein. Völlig unmöglich, in einer so wenig ästhetischen Umgebung schreiben zu können! Doch dann betrat eine schottische Band das Café um zu proben (wieso auch immer). Und ihre schön-melancholische Musik passte perfekt zur aktuellen Stimmung meiner Figuren – und so wurde es doch zu einem sehr produktiven Vormittag. Irgendwann hörte die Band auf zu spielen. Höchste Zeit, das Schreiben zu beenden, um in die Highlands zu ziehen.

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R4X6+VQ Croftmore, Pitlochry, Vereinigtes Königreich

Die Highlands sind zurück. Oder ich, je nach Perspektive.

Die ersten beiden Tage waren mental und körperlich durchaus fordernd gewesen und ich war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob es tatsächlich eine so gute Idee gewesen war, mich auf dieses Experiment der absoluten Freiheit (ergo Obdachlosigkeit) einzulassen. Gestern fiel mir ein Zitat wieder ein, das ich mal irgendwo gelesen hatte – nichts ist schwerer als die Freiheit. Womit zumindest das Rätsel um die unerklärlichen 52kg meines Gepäcks gelöst wäre.

Und während ich also am Zweifeln war (und kalt war es und geregnet hat es auch), begann ich, mich über die Highlands zu ärgern – so klar, wie ich ihren Ruf vernommen hatte, können sie mich doch jetzt unmöglich im Regen stehen lassen!

Und natürlich tun sie das nicht. Auch das müsste ich doch inzwischen gelernt haben. Wie ich weiter Stunde um Stunde durch die Highlands wanderte und so langsam ihre Weite, ihre Leere, ihre unendliche Schönheit wieder fühlen konnte, stand plötzlich eine Hütte vor mir.

Genauer gesagt: Meine Hütte. Direkt an einem friedlich plätschernden Bach, mit Kamin und Schlafbank.

Und wie ich jetzt in der Abendsonne vor meiner Hütte sitze, die nächsten Nachbarn 20 Kilometer entfernt, und Pasta esse, bin ich dann doch etwas bewegt von der unerklärlichen Schönheit der Welt.

So schnell wird man also von einer Obdachlosen zur stolzen Hausherrin.

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3473+77 Kingussie, Vereinigtes Königreich

Meine neue Seins-Bezeichnung lautet ab heute nicht mehr Obdachlose, sondern Hausherrin. Genauer gesagt, Häuserherrin.

In der Früh bekam ich auf meinem Anwesen Besuch von einem Fotografen und einem Kameramann, die mit ihren Mountainbikes unterwegs waren. Wie es sich für eine ordentliche Hausherrin gehört, hätte ich ihnen gerne Kaffee angeboten. Allerdings wäre es geradezu unverantwortlich gewesen, ihnen meinen Instant-Kaffee mit Hafermilchpulver (ja, sowas gibt’s) zuzumuten, da er genauso schmeckt, wie er klingt. Wir kamen dennoch ins Gespräch und ich erzählte ihnen von meinem verlorenen Transporter und dem gefundenem Häuschen (das sich Bothy nennt). Sie empfahlen mir ein Buch namens “The Bothy Bible” und waren begeistert von der Idee, dass ich nun statt im Transporter doch überall im Land in Bothies leben könnte. Natürlich war ich auch begeistert. Ich begab mich also zurück in die Zivilisation, um diese Bibel zu finden, was mir ein Dorf weiter auch gelang.

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Bothy

Nachdem ich die Bothy Bible studiert hatte, zog ich in den Regen, gespannt, das nächste Bothy zu entdecken. Laut der Bibel sollte es sich um einen sehr außerordentlichen Ort handeln – was auch immer das heißen mochte.

Da ich das Bedürfnis gehabt hatte, neben zweier Bücher auch noch meinen Laptop mitzunehmen (wie klug dies in den Highlands dann tatsächlich ist, wird sich noch zeigen), war mein Rucksack beinahe schwerer als ich selbst.

Drei Stunden stapfte ich durchnässt durch den monotonen Regen, als endlich das Bothy vor mir auftauchte.

“Welcome! Come in! Would you like some tea?” tönte es mir beim Betreten der Hütte entgegen. Ein alter Schotte aus Glasgow versorgte die Hütte – und seine Besucher gleich mit. Neben Tee kochte er uns (einem jungen Paar aus England und mir) ein Abendessen, servierte Wein und erzählte von Bäumen.

Als es zum Abschluss aus dem Nichts auch noch Kuchen gab, wusste ich, dass die Bibel Recht gehabt hatte.

Und als dann alle früh im Bett waren, war ich froh, meinen Laptop mitgeschleppt zu haben – denn wo ließe es sich schöner schreiben als hier?

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Tom Dubh

Die Erhabenheit der Highlands fotografisch zu erzählen, ist nicht mal im Ansatz möglich.

Fast könnte man meinen, ich hätte nichts besseres zu tun, als stundenlang und unter größter Anstrengung über immergleiche Erdhügel zu klettern.

Ganz so ist es natürlich nicht. Man stelle sich vor: Unendliche Weiten, von denen man nicht weiß, ob ein Mensch sie je betreten hat. Nie gesehene Grüntöne, umgeben von einer vollkommenen Stille, die einen den eigenen Herzschlag hören lässt, und die nur gelegentlich vom Ruf eines Vogels unterbrochen wird. Dazu das plötzliche Gefühl von Demut, während sich das Wetter um einen herum immerzu verändert und ein nie langweilig werdendes Wolkenspektakel bietet.

Und dann liegt da etwas in der Luft, das mehr ist als bloser Wind.

Und so zieht es mich immer wieder dorthin zurück, den Midges, der Kälte und dem Regen zum Trotz.

Heute war ich bereits recht früh aufgebrochen, nachdem das Bothy gegen sieben Uhr nach frischem Kaffee und Croissants duftete (das sind Begebenheiten, die als kleine Wunder zu werten sind. Schließlich muss man bedenken, dass ich mich mitten im Nirgendwo der Highlands befinde und man bei einem Bothy nicht mehr als aufeinander gestapelte Steine erwarten sollte). Während meiner Wanderung machten sich das Gewicht meines Rucksacks und die Höhenmeter (bei welchen man nie weiß, ob man noch auf dem richtigen Weg ist, da es keinen gibt) dann deutlich bemerkbar, weswegen ich schon früh mein Zelt aufschlug. Und jetzt, nach einem Bad im Fluss (der nur relativ warm war) und Pasta, fühle ich mich eigentlich bereit zu schlafen – dabei ist es erst halb sieben und ich hatte noch viel vor. Mein Theaterstück schreiben, zum Beispiel. Doch die Uhren laufen in den Highlands einfach ein bisschen anders.

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Carn Ban Mor

Als ich heute Morgen zusammen mit den Highlands aufgewacht bin, wusste ich wieder, wieso ich all das auf mich nehme. Verschlafene Schönheit ringsum.

Wäre eine Pauschalreise doch so viel erholsamer – zumindest jedenfalls aus dermatologischer Sicht empfehlenswerter.

Denn in den Highlands gibt es Untiere, die es schaffen, sich Nachts durch das Fliegengitter des Zeltes, durch zwei Lagen Schlafsack und vier(!) Lagen Kleidung zu arbeiten, um die betreffende Person (mich) systematisch aufzufressen.

Beim Aufwachen kam mir dann der plötzliche (wenn auch nicht besonders originelle) Gedanke, dass es in Schottland ja auch ein Meer gibt! Noch kein einziges Mal hatte ich auf dieser Reise den Geruch salziger Meerluft in der Nase!

Also: Von den Untieren verabschiedet, Zelt eingepackt, abgestiegen und jetzt geht’s ab an’s Meer!

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Charlies Cave

Vorgestern in den Highlands traf ich einen Schotten, der sich über das Wetter beklagte. Es sei ein sehr schlechter Sommer, jammerte er mit traurigem Gesicht, übermorgen solle es Nachts auf vier Grad abkühlen. Dazu muss man wissen, dass sich Schotten nie über das Wetter beklagen. Also, nie. Entweder verändert der Klimawandel also selbst das sonnige Gemüt der Schotten – oder jener hat schlicht deutsche Vorfahren.

In jedem Fall zog ich es vor, für die beklagte Nacht die Klimazone zu wechseln – was in Schottland keine zwei Autostunden dauert, von den Highlands an die Ostküste. Und dort fand ich immerhin einen Hauch von Sommer vor (12 statt 4 Grad Nachttemperatur).

Und natürlich kam ich bei der Gelegenheit nicht umhin, Charlies Höhle einen Besuch abzustatten. Wo er doch die Mitverantwortung für mein gesamtes Unterfangen trägt! Der Weg zur Höhle war von wildem Farn überwuchert. Der arme Charlie scheint nur noch wenig Besuch zu bekommen, seit er keine Geschichten mehr zu erzählen vermag.

Fast hätte ich mich dazu entschieden, in seiner Höhle zu übernachten, wäre mir der Farn nicht zuvorgekommen.

Und so schlug ich mein Zelt ein paar Meter weiter in der Abendsonne an einem menschenleeren Strand auf.

Und kann, dem meditativen Rauschen der Wellen lauschend, durchaus verstehen, weshalb Charlie genau an diesem Ort sesshaft geworden war.

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Charlies Cave

Wovon ich träume: Von fließend Wasser.

Was in den Highlands kein Thema ist — alle fünf Meter fällt man dort ungefragt in einen Quellbach – stellt sich am Meer als unlösbares Problem dar. Und ich beginne, über das Wunder des fließenden Wassers in unseren Wohnungen ernstlich zu staunen. Eigentlich ist es doch nicht für möglich zu halten, dass in all unseren Häusern, selbst in den obersten Stockwerken, der Wand eine grenzenlose Menge an frischem Trink- und Duschwasser entspringt!

Ich stelle mir vor, wie der erste Mensch seinem Nachbarn feierlich seine Vision verkündete “In unseren Wohnungen sollen Strom und Wasser fließen”. Der Nachbar hätte ihn für verrückt erklärt und angenommen, dass jener die Bibel schlicht zu oft gelesen hat (jedoch nicht “The Bothy Bible”, in meinen Bothies fließt nämlich gar nichts).

Jeden Tag sollten wir beim Aufdrehen des Wasserhahns unendlich dankbar sein und unseren Wohlstand kaum fassen können! Ich zumindest würde heute jeden Preis für eine Dusche zahlen.

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Ben Wyvis

Jeden Preis war ich zu zahlen bereit und sie wollten 6 Pfund.

Als ich heute Morgen vom Strand ins nahe Dorf kam, fragte ich den erstbesten Passanten, ob er mir denn sagen könne, wo die nächste Dusche zu finden sei? Er blickte mich an und schien von meiner Frage nicht einmal überrascht. Er schickte mich ins Hallenbad. Und während ich dort so lange duschte, bis sich die 6 Pfund Eintritt nach einem angemessenen Preis anfühlten, dachte ich über meine Grundbedürfnisse nach.

Wie ich feststelle, könnte ich dauerhaft auf sehr vieles verzichten, jedoch nicht auf: Fließendes Wasser, das der Wand entspringt (ich kann immer noch nicht fassen, was das für eine bahnbrechende Erfindung ist! Wer nur hat es gewagt, so groß zu träumen?), außerdem ein Daunenbett und eine Waschmaschine. Und eigentlich bräuchte ich all das jetzt sofort.

Für das Daunenbett fiel mir spontan keine Lösung ein (denn das Zahlen von Geld für ein Hotel würde einen Verrat an Charlies Philosophie darstellen), also fuhr ich erst einmal nach Inverness zu einem Waschsalon, um all meine Klamotten (4 T-Shirts) zu waschen. Jedoch hatte ich diesen Plan nicht zu Ende gedacht, was mir allerdings erst auffiel, als ich schon vor dessen Eingang stand. Wo sollte ich die Wäsche denn bitte zum Trocknen aufhängen? Während ich ratlos auf eine Idee wartete, stieß ich auf ein Inserat: Eine Dame, die mit ihren beiden Hunden in einem Haus nördlich von Inverness wohnt, möchte 4 Tage verreisen und sucht für diese Zeit eine Person, die das Haus hütet und die Hunde beschmust. Ob aus ihren Wänden Wasser fließt, gab sie zwar nicht an, dennoch schrieb ich ihr sofort. Und schon in zwei Tagen wird ein kostenloses Daunenbett auf mich warten. Und hoffentlich auch eine Waschmaschine.

In der Zwischenzeit schlafe ich bei angenehmen Temperaturen an einem Bach in den Highlands. Es wäre geradezu traumhaft schön, wenn da die Midges nicht wären. Auf den Fotos haben sie sich feierlich als schwarze Punkte verewigt. Midges sind einzeln betrachtet recht dumme Gegner. Rennt man vor ihnen auch nur zwei Meter davon, verstehen sie lange nicht, was passiert ist und bleiben verwirrt zurück. Befindet sich zwischen der menschlichen Haut, die sie aufkratzen möchten, und ihnen selbst Stoff, suchen sie nicht etwa eine bessere Stelle, sondern verbleiben für immer verwundert und verhungernd ebenda sitzen. Doch egal, wie dumm sie sind: Da sie sich in Massen zusammenrotten, können sie dennoch zu einer unangenehmen Bedrohung werden.

Von dem Fotografen und dem Kameramann habe ich im Übrigen gelernt, dass in den Highlands überall Blaubeeren wachsen. Von dem Phänomen Fuchsbandwurm hatten sie beide noch nie gehört, weswegen ich seither jede Mahlzeit mit Blaubeeren anreichere, um auch auf diesem Abenteuer Skorbut abzuwenden.

Beim Thema Grundbedürfnisse komme ich noch einmal auf Charlie zurück, um seine Geschichte in aller Tragik zu Ende zu erzählen (für all die Leser, die vor zwei Jahren noch nicht auf meiner Reise dabei waren). Charlie lebte also 13 Jahre glücklich und zufrieden mit seinen beiden Katzen in der Höhle, verkaufte sein Gemüse und seine Postkarten (wovon ich eine mit großem Stolz im Original besitze), die Dorfbewohner liebten ihn und alles sah nach einem klassischem Happy End aus. Wäre da nicht die Pächterin jener Küste gewesen. Vielleicht konnte sie seine Beliebtheit nicht ertragen, vielleicht war sie von ihm abgewiesen worden, vielleicht hat ihr sein Gemüse nicht geschmeckt. Jedenfalls zeigte sie ihn an, da er es verpasst hatte, sich vor 13 Jahren beim Einwohnermeldeamt zu registrieren. Und so geht eine heroische Geschichte an der Bürokratie zugrunde. Der Richter hatte keine Wahl (doch hat man wirklich jemals keine Wahl, würde Charlie jetzt fragen), als ihn zu verurteilen. Charlie musste zur Strafe all das Geld zahlen, welches er in den letzten Jahren mit seinem Gemüse verdient hatte. Bürokratie kann ein blindes Ungeheuer sein. Die Verurteilung war wohl der Moment, als Charlie, diese große, spirituelle, glühende Person, seinen Glauben an die Menschheit verlor. Tief enttäuscht beschloss er, dem Land den Rücken zu kehren, ertränkte seine beiden Katzen, um sie nicht allein zurücklassen zu müssen, und ging. Entgegen seiner Hoffnung wurde es ihm nicht gewährt, in sein Heimatland Frankreich zurückzukehren, sodass er kurz darauf in England starb, verlassen und allein. Um eine Rückkehr in die Höhle zu verhindern, wurde diese kurz nach dem Urteil abgebrannt (die Pächterin?) und bis heute bricht es mir das Herz, wenn ich vor der verkohlten Höhle stehe. Aber Charlie, dein Weg war nicht umsonst! Immerhin mich inspirierst du bis heute! Über alle Maße!

Und vielleicht ist auch dies eine Lehre aus seiner Geschichte: Bei all dem ehrbaren Idealismus und Utopismus darf man dabei nie den Glauben an die Menschheit verlieren, auch wenn sie noch so fehlbar ist – zumindest jedenfalls ihre Bürokratie ist es.

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Ben Wyvis National Nature Reserve

Heute gegen Mitternacht, ich spielte gerade mit dem Gedanken einzuschlafen, schlich ein Tier um mein Zelt. Ein großes Tier. Auf vier Beinen.

Ich überlegte, ob dies irgendeinen Handlungsauftrag an mich darstellte – mich dem unbekannten Tier stellen? Mich mit ihm anfreunden? – kam dann jedoch zu dem Schluss, dass es mich das Tier schon wissen lassen würde, falls es mit mir interagieren möchte. Und da es dem Kampf gegen die Angst wenig zuträglich ist, in äußerster Anspannung den Schritten des Braunbären/Tigers/Krokodils zu lauschen, hörte ich stattdessen Musik, mit meinen AirPods im Modus “Geräuschunterdrückung”. Und diese Technologie ist so gut, dass selbst eine Herde Löwen nicht dagegen anbrüllen könnte. Wodurch sie natürlich entmachtet ist.

Es ist dazu nichts genaueres überliefert, doch an dieser Stelle hoffe ich sehr, dass Charlie ebenfalls mit AirPods Pro der 2. Generation unterwegs war.

Im Übrigen sei gesagt, dass ich aus sicheren Quellen (Wikipedia) weiß, dass es keine gefährlichen Tiere in Schottland gibt. Das gefährlichst vorstellbare Tier wäre wohl ein tollwütiges Einhorn (das Nationaltier Schottlands), doch nicht einmal das habe ich je gesehen.

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Highland Farm Cafe

Dank meines täglichen Instant-Hafermilchpulver-Kaffees habe ich mich längst von jeglichen Ansprüchen losgesagt. Doch als mir heute Vormittag in einem Farm-Café ein echter Barista-Kaffee serviert wurde (was allen Schotten nördlich von Edinburgh eigentlich gänzlich unbekannt ist), war das dann doch Grund zu großer Freude.

Ich schrieb knappe zwei Stunden an meinem Stück, als meine Hauptfigur plötzlich unvermittelt wütend wurde. Davon waren alle anderen Figuren derart überrascht (und ich war das auch!), dass ein Weiterschreiben unmöglich war. Nun werde ich ein paar Stunden die Küste entlangspazieren müssen (angeblich kann man dabei manchmal Delphine sehen!), um meinen armen Figuren die Gelegenheit zu geben, sich wieder zu sammeln. Es ist aber auch wirklich nicht einfach, Figur in einem Theaterstück zu sein. Doch irgendwie sind wir das ja schließlich alle – so zumindest die Theorie eines guten Freundes.

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V53P+P4 Tain, Vereinigtes Königreich

Zu Beginn meines Abenteuers war ich davon ausgegangen, dass die absolute Freiheit sehr anstrengend werden würde. Bei jedem Schritt müsse schließlich neu entschieden werden, ob rechts, links oder geradeaus – so dachte ich – und nach jeder Nacht stelle sich aufs Neue die Frage, wo ich denn bitte die nächste Nacht verbringen soll.

Was ich nicht wusste: Die Welt ist voller Hinweisgeber, denen man einfach nur zuhören muss. Oft genug wissen diese dabei selbst nicht einmal, dass sie gerade als wichtige Wegweiser fungieren.

So etwa die beiden Besucher meines Anwesens, die mich durch ihre empfohlene Bothy Bible zum Rotwein führten, oder der klagende Schotte, der mich mit seiner 4 Grad-Warnung aus den Highlands ans Meer führte, und damit weiter nach Inverness und weiter in mein Daunenbett (welches ich morgen beziehen werde).

Gestern traf ich kurz vor dem Gipfel eines Munroes einen Dänen. Wir unterhielten uns und er war beeindruckt von dem Mut, alleine da draußen zu übernachten – er würde sich das nicht trauen. Eine halbe Stunde später trafen wir uns erneut und er sagte mir, dass er jetzt den ganzen Weg darüber nachgedacht hat, was er mit meinem Mut machen würde: Es gäbe da so einen Wasserfall, einen wunderschönsten Ort, auf dessen Insel würde er schlafen. Er erwähnte den Namen des Ortes und sagte zum Abschied, dass er seiner 14-jährigen Tochter von mir erzählen werde, in der Hoffnung, dass sie mal zu meinem Mut finden werde. (dazu sei gesagt, dass ich selbst mich in diversen Situationen alles andere als mutig fühle, aber es ist ja schön, dass ich zumindest nach Außen hin den Schein wahren kann. Haltung ist einfach alles)

Nun geht es also gleich zu jenem Wasserfall, um ihn auf seine Schlaftauglichkeit hin zu überprüfen.

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Rogie Falls

Der Däne hatte recht – der Wasserfall ist tatsächlich ein außergewöhnlicher Schlafplatz. Und erst recht die Geräuschkulisse. Was gibt es doch für sonderbar friedliche Orte auf dieser Welt.

Nach einer Wasserfall-Dusche (ich will mir gar nicht ausmalen, wie teuer eine derartige Sanitärinstallation für die eigenen vier Wände wäre, doch ich empfehle es wirklich jedem), gibt es Gemüse-Reis auf einer Felsklippe (natürlich nicht selbst gekocht, doch das dürfte inzwischen klar sein).

Und plötzlich werde ich schon wieder von Tieren fast zu Tode erschreckt (ich habe darauf verzichtet, von den Bullen zu erzählen, die mir auf meiner Wanderung zum Leuchtturm begegnet sind, aber ein jeder kann sich die Geschichte ausmalen). Diesmal allerdings sind es Lachse. Die riesigen Fische springen den Fluss aufwärts und machen dabei Lärm. Doch solange sie damit keine Bären anlocken, möchte ich ihnen diese Ruhestörung nachsehen.

Nun sitze ich also auf meiner Klippe und beobachte staunend die doch etwas unbeholfenen Versuche der Lachse, die nächste Stufe zu erklimmen.

Abschließend eine kleine Hochrechnung.

Zecken-Counter: 3

Borreliose-Counter: 0

Zwischenstand: 3:0 für mich.

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White Lodge

Heute Morgen um 5:30 wurde ich von hyperaktiv lärmenden Lachsen dazu motiviert, ebenfalls schwimmend in den Tag zu starten. Und nachdem ich anschließend einige Stunden lang am Wasserfall saß und Lachse studiert habe, kann ich sagen, dass ihr Verhalten wenig durchdacht wirkt und nur selten dazu führt, dass sie tatsächlich die angestrebte höhere Stufe erreichen. Ich hätte ihnen zu mehr Schlaf und Gelassenheit geraten, wenn sie denn nur die Zeit gefunden hätten, mir zuzuhören.

Manch andere Tiere dagegen haben die höhere Stufe längst erreicht. Darf ich vorstellen: Milo und Alfie, meine neuen Gefährten.

Gerade habe ich mein kostenloses Cottage in Strathpeffer bezogen, inklusive fließendem Wasser, Daunenbett und Waschmaschine. Die Besitzerin war mir derart dankbar dafür, dass die beiden Hunde während ihrer Abwesenheit auf mich aufpassen dürfen, dass sie mir frisches Brot gebacken und den Kühlschrank befüllt hat. Dabei bin doch eigentlich ich die einzige Person, die Grund zu Dankbarkeit hat. Noch dazu, wo mir die Hunde mit ihrem täglichen Schlafbedarf von 23,75 Stunden recht wenig Arbeit zu machen scheinen.

Nun also große Dankbarkeit für 1400 Umdrehungen pro Minute. Ein beinahe magischer Moment.

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Deli in, The Square, 1 The square, Strathpeffer IV14 9DW, Vereinigtes Königreich

Meine neuen Gefährten und ich konnten uns bisher auf keine gemeinsame Lebensphilosophie einigen. Anfangs versuchte ich noch, mich ihrem Lifestyle anzupassen und so hielten wir alle zusammen eine Stunde Mittagschlaf.

Ich merkte jedoch schnell, dass dies nicht mein Weg war. Also weckte ich die schlafenden Hunde (und ich weiß, dass man das nicht tun soll) und versuchte, ihnen nahezubringen, dass man auf der Fensterbank keine Abenteuer erleben kann. Fragende Blicke. Wieso Abenteuer, wenn man 23,75 Stunden am Tag träumen kann? Ich nahm sie dennoch mit nach draußen, davon überzeugt, dass insgeheim doch jeder ein Abenteurer sein möchte.

Diese Annahme war falsch. Als die 0,25 Stunden Wachzeit abgelaufen waren, setzte sich Milo auf die Straße, hob theatralisch seine Pfote und war zu keinem weiteren Schritt zu bewegen.

Mir blieb nichts anderes übrig, als das müde Tier eigenhändig zurück nach Hause zu tragen und musste erkennen, dass ich meine Abenteuer wohl alleine bestreiten muss.

Nun haben sich die beiden wieder zur Ruhe gelegt, während ich im Pub nebenan Whisky trinke.

Wohl wissend, dass am Ende des Tages ein warmes Daunenbett auf mich warten wird. Menschen, die mit dem Zustand der Obdachlosigkeit nicht vollends vertraut sind, werden den emotionalen Gehalt dieses Fotos möglicherweise nicht in der vollen Tragweite erfassen können. Hinzu kommt, dass das ganze Land seit meiner Ankunft im Cottage von einem hämischen Dauerregen überzogen wird, welcher mir ohne eine Unterkunft wohl höchst unangenehm aufgefallen wäre.

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Deli in, The Square, 1 The square, Strathpeffer IV14 9DW, Vereinigtes Königreich

Gestern gegen Mitternacht, als es in meinem Daunenbett gerade kühl zu werden drohte (ich hatte wohl vergessen, die Fenster zu schließen), sprangen zwei schlafbedürftige Wärmflaschen zu mir ins Bett und dachten nicht im Traum daran, es je wieder zu verlassen.

Die gelebte Philosophie dieser beiden Hunde beschäftigt mich. So ist es doch ohne Zweifel eine äußerst wertvolle Gabe, sich seinen Träumen derart leidenschaftlich hingeben zu können (eine Gabe, die so viele Menschen in unserer durchgetakteten Welt schon vor langer Zeit verloren haben). Jedoch stellt sich mir in ihrem Fall die Frage, wohin ihre Träume denn führen sollen, wo sie doch für deren Verwirklichung nicht mehr als 0,25 Stunden pro Tag einräumen. Wäre es nicht ebenso wichtig, sich gemäß seiner Träume mit Haut und Haaren in die Welt zu stürzen, koste es was es wolle? Wollen Träume nicht auch gelebt werden?

Vielleicht liegt die perfekte Seins-Weise irgendwo auf der Skala zwischen den emsig handelnden Lachsen und den schlafwandelnden Hunden. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht haben die Hunde einfach schon längst eine höhere Stufe erreicht, welche ich von unten aus betrachtet noch nicht einmal erkennen kann.

Naja. Ich habe es heute Mittag trotzdem noch mal versucht, sie für das Abenteuer Realität zu begeistern. Für den Einstieg wählte ich bewusst ein einfaches Level – das Entdecken lustiger Ponys.

Diesmal schlugen sie sich gar nicht schlecht und spielten das Abenteuer sogar bis zum Ende durch – jedoch mit der Folge, dass sie Abends zu keinem weiteren Spaziergang bereit waren.

Daher verbrachten wir einen ruhigen, sicheren Abend im Cottage, fernab der Realität. Während ich an meinem Stück arbeitete, träumten sie sich aus dem Fenster. Doch wer kann schon wissen, wo die Wirklichkeit ihr Zuhause hat.

Später im Pub stolperte ich erneut über die Schönheit von Träumen. Ein Schotte erzählte mir ergriffen vom Traum der Unabhängigkeit (den ich teile!). Doch dieser werde sich für Schottland nie verwirklichen, prophezeite er nachdenklich – und dennoch wirkte er so glücklich in dem Moment, als er mich mitnanm in seine Vorstellung und seine Augen leuchteten.

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Assynt

Darf ich vorstellen – Dean Allan, cooler Typ und großer Fotograf.

Ein paar Wochen vor meiner Reise kam ich auf den Gedanken, dass ich doch eigentlich ein Foto von mir als Künstlerin inmitten der erhabenen Highlands bräuchte. Derzeit arbeite ich an dem Aufbau meiner Künstlermarke und meine Werte sind gewissermaßen identisch mit den Werten der Highlands. Ich stieß auf Dean und wir stellten mit großer wechselseitiger Sympathie fest, dass unsere Lebensgeschichten gewisse Parallelen aufweisen, zusätzlich verbindet uns die unbedingte Liebe zu den Highlands. Er erklärte sich sofort bereit, für die Fotos einen Nachmittag mit mir in die Highlands zu fahren.

Dean kommt ursprünglich aus London und war viele Jahre für Werbeagenturen tätig. Und auch ihn ereilte das Schicksal, zu fühlen, dass seiner Tätigkeit trotz hoher Bezahlung die Sinnhaftigkeit abging. Als sich dann vor sechs Jahren in seinem nahen Umfeld zwei plötzliche Todesfälle ereigneten, erkannte er die unvorhersehbare Endlichkeit des Lebens – und kündigte. Zusammen mit seiner Frau zog er in die Highlands, wo er seitdem Workshops für Fotografen anbietet. Inzwischen reisen Menschen aus aller Welt zu seinen Workshops, welche in der Regel innerhalb von wenigen Tagen ausgebucht sind. Erst diesen Monat hat nun auch seine Frau ihren Job gekündigt, welcher ebenso hoch bezahlt wie sinnarm war, um Dean künftig bei der Organisation der Workshops zu unterstützen. Und wenn die beiden nicht gerade mit der Fotografie beschäftigt sind, wandern sie mit ihren drei Hunden durch die Highlands und staunen. Dean beschreibt sie beide mit diesem einfachen Leben als glücklicher, als sie es in London je waren. Wohl ein familiäres Happy End.

Morgens vor meinem Aufbruch fragte ich die beiden Hunde, ob sie denn mitkommen möchten auf die Reise. Ich setzte gerade an, die mystische Landschaft, die erhabenen Berge und die unvorhersehbaren Ereignisse zu beschreiben, da waren sie schon wieder eingeschlafen. So wurde der Nachbar mit der Aufgabe betraut, ein Auge auf die immerschlafenden Tiere zu werfen.

So schön es auch war, für einen Moment ein befestigtes Dach über dem Kopf zu haben (und einen Stammpub gefunden zu haben), so vernehme ich den Ruf der wilden Highlands heute deutlicher denn je. Abenteuer und Sesshaftigkeit scheinen sich nicht allzu gut zu vertragen – und so geht es morgen wieder raus ins Unbekannte. Zelt, Highlands, Midges und vor allem all das, was sich noch nicht einmal erahnen ließe, sind nicht vom Daunenbett aus zu erleben

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Creagan Gorm

Heute Mittag war es an der Zeit, die zwischenzeitliche Sicherheit aufzugeben und zurück in die Wildnis zu ziehen (auch wenn mir die Besitzerin der Hunde netterweise angeboten hat, bei ihr einzuziehen). Die Hunde und ich trennten uns im Guten und haben allesamt viel von der jeweils anderen Lebensphilosophie gelernt. Oder uns zumindest darüber gewundert.

Die Highlands hießen mich mit Sonnenschein und blauem Himmel zurück willkommen. Bei schönem Wetter sind sie kaum wiederzuerkennen – plötzlich wirkt das große Abenteuer wie ein klassischer Sonntagsspaziergang (zumindest, wenn man vom Gewicht des Rucksacks einmal absieht).

Und auch wenn es irgendwie schön ist, nicht eingeregnet zu werden, nicht zu frieren und auch nicht mit seiner Angst konfrontiert zu sein, so mag ich die andere Seite dennoch wesentlich lieber. Die tobenden Highlands offenbaren ganz sicher die interessanteren Einsichten.

Als es bereits spät geworden war, kam ich an einem alten Baum vorbei, dessen Ausstrahlung mich stark anzog. Ich musste an die Erzählung einer alten Norwegerin denken, die ich vergangenen Herbst auf einer einsamen Insel kennengelernt hatte. Unter den Ureinwohner Norwegens gibt es Seherinnen. Hat jemand aus dem Dorf eine Frage, setzt sich die Seherin eine Nacht lang an einen bestimmten weisen Baum, um Antwort zu erhalten.

Diese Geschichte war mir seither nicht mehr aus dem Kopf gegangen und auch nicht der Wunsch, eine Nacht bei einem weisen Baum zu verbringen. Damit stand mein Schlafplatz für diese Nacht fest. Bleibt zu hoffen, dass mich der Baum an seiner Weisheit teilhaben lassen wird.

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Druie

Auf Grund meiner gestrigen Klagen über das gute Wetter haben die Highlands heute auf diesen kitschig-blauen Himmel verzichtet, an dem sich höchstens wundersame Touris erfreuen würden, und sich von ihrer allerschönsten, weil echten, Seite gezeigt.

Ein ständiger Wechsel aller Jahreszeiten bei der Gleichzeitigkeit von Wind, Sonne und Regen.

Rechtzeitig zum Abend kam dann doch noch die Sonne raus. So sehr ich die Nachmittagssonne als flach und gefühlsarm verabscheue, so sehr liebe ich die Abendsonne als ihr Gegenteil.

Bei der Suche nach meinem Schlafplatz ließ ich mich heute von meiner Intuition leiten (möglicherweise hat mich das letzte Nacht der weise Baum gelehrt). Eigentlich hatte ich mir einen ganz anderen Plan gemacht, welche Strecke ich zurücklegen möchte, doch an dieser und jener Kreuzung fühlte sich eine andere Abzweigung einfach richtiger an. Und so gelangte ich an einen nahezu paradiesischen Ort.

Und nun bin ich hier. Es gibt diese ganz besondere Schönheit in Momenten, die zu groß ist, als dass man sie wirklich begreifen könnte. Man weiß, dass das vielleicht einer der schönsten Momente ist, die man je erlebt hat, und doch bekommt man ihn nicht recht zu fassen. Erst viel später wird man merken, dass man glücklich war.

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Dunrobin Castle & Gardens

Nach den Höhenmetern der letzten Tage brauchte ich ein wenig Erholung. Also betrieb ich heute Café-Hopping quer durchs Land, wobei mich jeder Cappuccino etwas weiter in den Norden trieb.

Meine Figuren waren heute noch müder als ich und sprachen nur wenig. Als dann auch noch ihre Kaffeemaschine den Geist aufgab, war nichts mehr zu machen. Doch da war es auch schon allerhöchste Zeit, mich um einen Schlafplatz zu kümmern.

Auf der Suche nach einem geeigneten Ort wanderte ich zu einem Wasserfall, da ich das nächtliche Geräusch von Wasser inzwischen sehr lieben gelernt habe. Doch dieser war in einem dunklen Wald verborgen, ein Übernachten darin ausgeschlossen. Denn auch wenn ich nicht an Waldgeister glaube – in diesem Wald lebten ganz sicher welche.

Mein heutiger Hinweisgeber, ein alter Schotte, der gerade mit seinem Hund am Wasserfall spazieren war, erzählte mir von der nahen Küste und davon, dass morgen ein schöner Sonnenaufgang zu erwarten sei.

Also schlug ich mein Zelt am Meer auf – übersehen von einem mächtigen Schloss.

Ich war mir nicht sicher, ob es noch bewohnt war, konnte aber – wie immer bei derartigen Bauwerken – der Versuchung nicht widerstehen, dies sogleich herausrauszufinden.

Als ich mir also gerade meinen Weg durch das Gestrüpp bahnte, stand ein Gartenarbeiter vor mir (es gibt hier aber auch wirklich zu tun!). Mit unschuldiger Miene fragte ich ihn, ob dies alles öffentlich sei und man die Umgebung erkunden dürfe?

Er blickte ängstlich nach oben zum Schloss. Dies gehöre wohl alles dem Schlossherrn, meinte er, aber es werde diesem vermutlich nicht auffallen, wenn ich durch seinen Garten laufe – er sei ja groß genug. Er selbst schien dem Schlossherrn nie begegnet zu sein. Nun war mir das Schloss mit seinem mysteriösen Schlossherrn plötzlich unheimlich geworden – es erinnerte mich mit seiner anonymen und mächtigen Ausstrahlung an Kafka’s Schloss – und ich zog es vor, eilig den Rückzug anzutreten.

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Lurg an t-Sábhail

Das unheimliche Schloss hatte sich die ganze Nacht über unauffällig verhalten, weswegen ich gut geschlafen hatte und dementsprechend früh wach war – vom Meer zog es mich direkt zurück in die Highlands, doch diesmal in ein bislang unbekanntes Gebiet im Nord-Westen.

Die letzten vierzig Kilometer verliefen einspurig, was jedoch nicht weiter auffiel, da mir auf der gesamten Strecke nur ein einziges Auto entgegenkam.

Die Highlands hier oben im Norden zeigen sich in tausend anderen Grüntönen als in den Cairngorms, wo ich üblicherweise unterwegs bin.

Und in einer ganz anderen Form der Einsamkeit. Ein zweiter Mensch wäre hier noch nicht einmal vorstellbar.

8 Stunden lief und kletterte ich, bis ich am frühen Abend mein Zelt an einem Wasserfall aufschlug. Wenn man über so lange Zeit in absoluter Stille durch die Einsamkeit läuft, beginnt sich zunehmend die eigene Wahrnehmung zu verändern.

Es ist, als ob sich die Sinne weiten würden, um trotz des scheinbaren Nichts Eindrücke zu erfassen.

Diese Form der Wahrnehmung ist schwer zu beschreiben. Vielleicht ist es die Kraft der Highlands, ihre Energie, ihren Geist, was man zu fühlen beginnt.

In jedem Fall ist es ein Gefühl, das man, einmal erlebt, nie mehr vergessen wird.

Was wohl der Hauptgrund ist, weswegen es mich jedes Jahr dorthin zurückzieht.

Und keine Widrigkeiten könnten mich je davon abhalten. Mein heutiger Trampelpfad war stellenweise verschüttet, weswegen ich mir über weite Teile kletternd einen neuen Weg bahnen musste.

Und während der gesamten 8 Stunden war nicht mal auch nur eine kurze Pause möglich, da die Midges heute besonders zahlreich (und hungrig) waren. Ist man langsamer als 4 km/h unterwegs, wird man von ihnen rücklings und hinterlistig aufgefressen.

Als ich mein Zelt aufgeschlagen hatte und von den Midges zu stark bedrängt wurde, flüchtete ich mich in einen Bach (eine Dusche war sowieso eine gute Idee) – darin tauchend stand ich dann vor der Wahl, für immer darin zu verbleiben und langfristig zu erfrieren, oder wieder an Land zu kommen und mich dem Kampf gegen die Midges zu stellen.

Ich entschied mich für den Kampf, erkannte jedoch schnell, dass er aussichtslos war, kapitulierte und schloss mich in meinem Zelt ein.

Immerhin schaffte ich es, mir dort mein Abendessen zu kochen, ohne dabei einen Wohnungsbrand zu verursachen. Ein erneutes Verlassen des Zeltes ist undenkbar. Und so werde ich wohl von den Midges heute zu einer frühen Nachtruhe genötigt. Und doch war es ein unvergesslich schöner Tag, heute in den Highlands.

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Fort William

Heute Morgen erwachte ich um 4:30 und zählte 400 Mückenstiche. Wer sich schon einmal an einem Mückenstich als singuläres Ereignis gestört hat, kann sich vielleicht das Gefühl von vierhunderten vage ausmalen.

Die zweimillionen Midges umschwärmten als unheilbringende schwarze Wolke noch immer mein Zelt, als ich gegen 8 Uhr aufbrechen wollte, um zurück in die Zivilisation zu gelangen.

Ich wanderte 15 Kilometer und fuhr weitere 40, um zur nächsten Apotheke zu gelangen. Dort angekommen stand die gesamte Belegschaft ratlos um mich herum und überlegte, wie nun am Besten zu verfahren sei. Schließlich überreichten sie mir Tabletten gegen die allergische Reaktion und diverse Salben, damit könnte ich wohl durchkommen.

Und was möchte man, wenn man dem Tod durch Erstechen gerade noch mal von der Schippe gesprungen ist? Klar. Einen Pint.

Also fuhr ich quer durchs ganze Land, um zu einem Pub zu gelangen. Eigentlich dachte ich, nach Fort William gefahren zu sein, doch landete ich in Fort Augustus. Was mir jedoch erst auffiel, als ich am Ufer von Loch Ness stand und mich fragte, wie ich denn jetzt an diesen hochtouristischen Ort gekommen war. Wo doch jeder weiß, dass Loch Ness nicht anders ist als all die anderen schottischen Seen, nur vielleicht ein bisschen weniger schön.

Doch am Ende war es egal, wo ich mich befand, es gab hier einen Pub. Meine Figuren waren in Höchstform und wollten gar nicht mehr aufhören zu reden (unterbrochen nur gelegentlich von ebenso redseligen Schotten, die meine Figuren wohl nicht hören konnten). Nachdem der Pub meine Produktivität durch seine engstirnigen Öffnungszeiten jedoch viel zu früh unterbrochen hatte, saß ich an Loch Ness, blicke in die Ferne, sah nichts und wunderte mich. So ganz allgemein.

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Loche Ness

Wenn die Highlands eines lehren, dann ist es hingebungsvolles Teilen. Sie selbst teilen uneingeschränkt ihre Heidelbeeren, der alte Schotte aus Glasgow seinen Rotwein und die Besitzerin der schlafenden Hunde gar ihr ganzes Haus.

Und so ist es natürlich Ehrensache, dass ich, wie ich frühmorgens (noch bevor die ersten Touristen erwachten) am Ufer des Loch Ness sitze und meinen Kaffee koche (die gewohnte Rezeptur), mein Frühstück großzügig mit einer aufgeweckten Entenfamilie teile.

Und nun stellt sich die große Frage nach dem Tagesplan: Wandern, trotz des angekündigten Regens, oder doch lieber im Café ausharren? Die Enten können mir nicht weiterhelfen und so muss ich wohl allein zu einer Entscheidung kommen (oder auf den nächsten Hinweisgeber warten).

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Ben Nevis

Es war zwar Regen und Sturm und Unwetter angekündigt, aber wie könnte man einem solchen Wetterbericht ernstlich Glauben schenken, wenn gleichzeitig die Sonne durch die Wolken bricht und ein Spektakel veranstaltet?

Also lief ich dennoch los, Ben Nevis als Ziel (der höchste Berg Großbritanniens, was höher klingt als er ist).

Ich vertraute darauf, dass es mich die Highlands schon wissen lassen werden, sollte dies eine schlechte Idee sein. Wir haben schließlich eine gute Verbindung.

Und das taten sie dann auch – in Form zweier Hinweisgeber. Möglicherweise die wichtigsten Hinweisgeber auf meiner Reise. Der erste, ein alter Schotte, kam mir auf halben Wege entgegen. Er warnte mich, vorsichtig zu sein, auf dieser Route würde viel passieren (ich war unbemerkt von meinem eigentlichen Weg abgekommen und auf einer schweren Route gelandet). Er beschrieb mir, wie ich laufen sollten – oben ginge es dann an einer Schutzhütte vorbei weiter nach oben, “but it’s not that obvious”.

Ungünstigerweise hatte ich meinen Hinweisgeber falsch verstanden – ich ging davon aus, ab der Schutzhütte geradeaus laufen zu müssen, was mich direkt in den Steilhang – und ins Unglück – geführt hätte. War dabei jedoch überzeugt, dass dies auf jeden Fall zu schaffen sein müsste, schließlich war mein vertrauenswürdige Schotte doch genau dort gelaufen. So dachte ich.

Also mussten die Highlands ein zweites Mal intervenieren und mir einen weiteren Hinweisgeber schicken (ich mache ihnen heute aber auch wirklich Arbeit!). An der Schutzhütte, also genau dort, wo ich vom sicheren Weg abgekommen wäre, saß ein einsamer Bergführer, der auf seine viel zu langsame Truppe wartete. “Geh da auf keinen Fall!” lautete sein klarer Hinweis, den ich diesmal wirklich nicht missverstehen konnte. Er zeigte mir den richtigen Weg und empfahl mir, besser frühzeitig abzusteigen, er würde dasselbe tun. Das Wetter hatte sich sehr ungut entwickelt. Und da man Hinweise der Highlands immer ernst nehmen sollte, stieg ich also ab und setzte mich in ein Café, während draußen der Sturm zu toben begann.

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Costa Coffee

Seit dem gestrigen Nachmittag wird die Westküste Schottlands von einem triefendnassen Dauerregen überzogen – und ich sitze mittendrin.

Da wird es allerhöchste Zeit, das nächste kostenlose Daunenbett zu beziehen. Diesmal werden ein Hund und drei Katzen zwei Tage lang ihr Cottage mit mir teilen, in der Hoffnung, im Gegenzug von mir gestreichelt und gefüttert zu werden. Ich hingegen bin von der Hoffnung auf 90 Grad und 1400 Umdrehungen getragen.

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22 Lady Margaret Dr, Corpach, Fort William PH33 7LQ, Vereinigtes Königreich

Nicht nur das Teilen lehren die Highlands, sondern auch Dankbarkeit. Inzwischen hatte ich mich eigentlich so sehr an meine Obdachlosigkeit mit dem damit einhergehenden Abenteuertum gewöhnt, dass ich sie nicht mehr ohne weiteres gegen die Sesshaftigkeit eintauschen wollte. Doch dann kam der schottische Dauerregen.

Und wie es der Zufall so wollte, plante ein Ehepaar aus Fort William, übers Wochenende nach Edinburgh zu fahren, und suchte jemanden, um Haus und Tiere zu hüten. Also mich. Vielleicht ist an den Zufall zu glauben in etwa wie ans Christkind zu glauben, nur andersrum.

Und so habe ich neben einer adoptivwürdigen Schmusekatze auch endlich meinen Abenteuerhund gefunden. Baxter und ich verstanden uns auf Anhieb und zogen sogleich zusammen los, um gemeinsam die Welt zu erkunden.

Nur den beiden Katern fällt es bislang schwer, Gefühle zu zeigen und geben sich betont lässig. Doch ich bin zuversichtlich, dass spätestens die Morgenfütterung das Eis brechen wird. Die Besitzerin schenkte mir zum Dank (der natürlich anders herum wieder einmal sehr viel eher angebracht wäre) Rotwein und Kuchen (es scheint sich im Land herumgesprochen zu haben, dass man damit mein Herz gewinnt). Und so verbringe ich den Abend mit Schmusekatze, Abenteuerhund und Rotwein vor dem Kamin, während im ersten Stock ein hochinnovativer Wäschetrockner mit meinen Klamotten betraut ist und AI gerade in aufwändigen Rechenprozessen versucht, das beste Programm für meine Socken zu ermitteln.

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22 Lady Margaret Dr, Corpach, Fort William PH33 7LQ, Vereinigtes Königreich

Wie könnte man die Welt auf aufregendere Weise entdecken als mit einem Abenteuerhund.

Nach einiger Beratschlagung beschlossen wir, den Regen zu ignorieren und so führte mich Baxter zu einem alten Schiffwrack. Ich wäre ja zu gerne in dessen Innere geklettert (nichts geringeres als unzählige Kisten voller Piratenschmuck müssen darin verborgen sein!), doch Baxter, der Weisere von uns beiden, riet von einer näheren Erkundung ab.

Auf dem Rückweg von einem Hafenarbeiter beobachtet, lachte dieser, dass der Hund den Weg ja besser zu kennen scheine als ich selbst. Selbstverständlich ist das so – ich habe doch keine Ahnung, wo wir uns befinden und laufe also immerzu dem Hund hinterher. Meistens kommen wir dann auch irgendwann wieder zuhause an. Spätestens, wenn Baxter hungrig wird.

Später saß ich ohne Tier im Café und beschäftigte mich stattdessen mit meinen Figuren. Ihre Bedürfnisse wollen schließlich auch gehört werden.

Vergangene Nacht erkannte einer der beiden Kater im Übrigen, dass es in unserer Gesellschaft eigentlich doch schon lange nicht mehr erforderlich ist, den starken Mann zu spielen, der all seinen Gefühlen erhaben zu sein scheint. Schmusebedürftig schnurrend kam er zu mir ins Bett und wich mir bis zum Morgen nicht mehr von der Seite. Der zweite Kater jedoch gelangte noch nicht zu dieser Erkenntnis und gibt sich noch immer auffallend reserviert.

Morgen werde ich meine lieb gewonnenen Gefährten wieder verlassen und zurück in die Wildnis ziehen. Die Highlands erwarten mich ungeduldig zurück.

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Assynt

Um zu beweisen, dass die Highlands tatsächlich nicht aus den immergleichen Erdhügeln bestehen, wie es meine Fotos so manchmal den Anschein machen mögen, teile ich die Fotos, die mir der Fotograf Dean gerade geschickt hat.

Sobald ich aus Schottland zurückkomme (was irgendwann aus unerfindlichen Gründen ja jedes Jahr wieder passiert, und immer ist es zu früh), werde ich mit den Aufbau meiner Künstlermarke fortsetzen – mal sehen, ob sie dabei Verwendung finden werden.

Ich werde nun so langsam mein Cottage und meine Tiere verlassen und zurück in die Highlands ziehen. Der Wetterbericht verspricht ein baldiges Ende des Regens.

Vergangene Nacht überlegten sich der Hund, die Schmusekatze und der Kater, dass es doch eine gute Idee wäre, allesamt in meinem Daunenbett zu schlafen. Der Hund auf meinen Füssen, die Katze auf meinem Bauch und der schnurrende Kater an meiner Seite. An diese Alternative zu meiner Wärmflasche hätte ich mich durchaus gewöhnen können, doch ich fürchte, dass mein Zelt ihren Ansprüchen von Komfort nicht entsprechen würde.

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Kingussie

Ein Abenteuer erfordert wohl die Ausbildung der Fähigkeit, höchstadaptiv auf jegliche Situation reagieren zu können. Und dabei immer Haltung zu wahren (das ist das allerwichtigste!). Schneller als einem lieb ist, muss man erkennen, dass sich das Abenteuer nicht an die eigenen Pläne hält, sondern sich viel lieber ureigene Pläne überlegt. Doch diese sind manchmal dann nur subjektiv gut – und das auch nur dann, wenn nicht ich das Subjekt bin.

Als ich vom Cottage aufbrach, verriet der Regenradar unsäglichen Dauerregen über den gesamten Cairngorms – mit Ausnahme des Nordwestens. Obwohl ich eigentlich im Südosten wandern gehen wollte, passte ich also meine Pläne an das Abenteuer an und begab mich in den Nordwesten. Doch nachdem ich einige Stunden gewandert war und es so langsam an der Zeit gewesen wäre, das Zelt aufzuschlagen, setzte auch dort der gefürchtete Dauerregen ein.

Eine Weile hoffte ich noch auf das Ende des Regens, doch es war aussichtslos. Unter diesen Umständen das Zelt aufzuschlagen hätte bedeutet, in den nächsten Tagen klamm zu schlafen. Also beschloss ich, zum Auto zurückwandern, auch wenn die Dunkelheit bereits nahte. Mein neuer Plan sah vor, in den Südosten zu fahren, dort im Auto zu schlafen, um morgen von der Sonne geweckt zu werden und dann direkt in die Highlands aufbrechen zu können.

Das Abenteuer war nicht d'accord. Auf halber Strecke zeigte mein Auto plötzlich ein Problem mit dem Motor an und beschloss, fortan nicht schneller als 20 Meilen/h zu tuckern. Also fuhr ich den nächste Waldparkplatz an und werde die Nacht in dem defekten Gefährt verbringen. Immerhin schlafe ich im Auto mittlerweile ganz gut. Inzwischen konnte ich die ideale Krümmung meines Körpers ermitteln, um im Gesamten ins Auto zu passen und doch fast ausgestreckt liegen zu können. Auf einem Abenteuer wird man adaptiv in jeglicher Hinsicht. Und so langsam beginne ich, Charlie‘s Geheimnis zu verstehen.

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Q5F4+PQ Blair Atholl, Pitlochry, Vereinigtes Königreich

Ich scheine besser darin zu sein, die Bedürfnisse von Tieren zu lesen als die von Autos (dauerschlafende Tiere ausgenommen). Denn mein Auto hatte gestern Nacht – auch wenn es das leidend vorgegeben hatte – gar keinen Motorschaden. Es war schlicht müde gewesen.

Und wie wir heute von der Sonne geweckt wurden und ich den Motor startete, waren alle Probleme vergessen. Es hätte mich auch gewundert, wo ich doch nicht einmal den falschen Kraftstoff getankt habe (zumindest hoffte ich das, nach längerem Nachdenken gestern Abend).

Es wäre mir ein großes Rätsel gewesen, wie ich dieses Auto einer Werkstatt übergeben sollte. Schließlich dient es mir als mein Zuhause und darin ist heilloses Chaos ausgebrochen (dazu sei bemerkt, dass ich eigentlich großen Wert auf eine ästhetische und ordentliche Wohnung lege – doch während dieses Abenteuers musste ich mich schon von so manchen Standards verabschieden).

Also wird mein(!) Plan fortgesetzt: Drei Tage Highlands, beginnend im Südosten. Vorausgesetzt, mein Auto beginnt unterwegs nicht wieder zu simulieren – aber es sollte ja jetzt ausgeschlafen sein.

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White Waters

Heute meinten es die Highlands gut mit mir (vermutlich tun sie das immer, manchmal zeigen sie das allerdings auf ihre ganz eigene Weise). Was nicht nur dadurch deutlich wurde, dass das gestrige Motorproblem meines Autos beim Aufwachen auf wundersame Weise behoben war (ein typisch-schottisches Wunder, das ein Mystiker wohl eher zu erklären wüsste als ein Automechaniker).

Sie offenbarten den ganzen Tag über ihre tiefste Schönheit. Zarte Sonne und zarter Regen, sanfte Einsamkeit über 20 Kilometer.

Ich kehrte heute an einen ganz besonderen Ort zurück. An einen der für mich wichtigsten Orte. Die Schotten nennen dieses Tal White Waters, in einer freien Übersetzung nenne ich es das Tal der Eulen.

Vor einem Jahr kam hier auf schottisch-wundersame Weise das Theaterstück meines Urgroßvaters zu mir – an dessen Weitererzählung, die nun 4 Generation später und damit in der heutigen Zeit spielt, ich seither arbeite.

Und wie ich heute viele Stunden durch das Tal wanderte und zunehmend in einen tranceähnlichen Zustand gelange (in meinen Augen der wertvollste Bewusstseinszustand, der außerhalb der Highlands leider sehr viel schwerer zu erreichen ist), verrieten mir meine Figuren plötzlich, wie das Theaterstück ausgehen wird.

Bislang hatten sie mich über das Ende stets im Unklaren gelassen, was mich oft genug nervös gemacht hatte. Doch da ich meinen scheuen Figuren, um sie nicht zu verschrecken, immer und in allen Belangen jegliche Freiheiten gewähren muss, wartete ich geduldig ab. Monatelang.

Nun habe ich es also endlich erfahren und ich werde gut schlafen, im Tal der Eulen.

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Corrie Fee

Schottland wird nie müde werden, für tägliche Abwechslung zu sorgen. Nachdem ich gestern in den Genuss eines milden Tages gekommen war, wurde ich heute von Sturm, Regen und Nebel geweckt. Damit wurde mir wohl wieder einmal gezeigt, dass auf diesem Abenteuer nicht ich für die Pläne zuständig bin.

Eine Weile harrte ich in meinem Zelt aus und versuchte mir einzureden, dass gutes Wetter doch eigentlich nur eine Frage der Kleidung ist.

Was schon stimmen mag, wenn man sich nach einem nassen Tag allabendlich in ein trockenes Daunenbett flüchten kann. Besteht die Unterkunft jedoch aus einem Zelt, welches zusammen mit dem Schlafsack mit jedem Tropfen klammer wird, ist nebeliger Dauerregen nichts anderes als das – schlechtes Wetter.

Ich verstand es als Aufruf der Highlands, in irgendeinem Café gefälligst an meinem Stück zu arbeiten, anstatt über Berge zu klettern, und war gerne bereit, dem nachzukommen.

Und wieder einmal wurde ich davon überrascht, wie das Leben funktioniert. Oder auch nicht funktioniert. Wer weiß das schon. Während ich auf den drei Stunden Rückweg zu meinem Auto zunehmend durchgeregnet wurde und darunter zu leiden begann, beschloss ich, dass ich nun genug Obdachlosigkeit erlebt habe. Ich habe das Prinzip verstanden und höchsten Respekt vor Charlie, der auf seinem Abenteuer noch nicht einmal gelegentlich auf Waschmaschinen zurückgreifen konnte (er war schließlich um 1920 unterwegs).

Ich jedenfalls hatte genug und wollte ein Haus. Also begann ich, mir in allen Farben auszumalen, dass – sobald ich denn wieder Internetempfang haben werde – in meiner neuen App für Haustier-Sitting ein spontanes Gesuch erscheinen werde, dass mir für meine verbleibenden Zeit ein schönes, kostenloses Cottage bescheren wird.

Ich konnte es förmlich fühlen, im Daunenbett eines schönen Hauses aufzuwachen und dann den ganzen Tag ungestört zu schreiben. Kaum hatte ich dann wieder Internet, erschien – klar! – tatsächlich dieses Gesuch. Auf der Black Isle sucht ein Ehepaar für vier Tage jemanden für ihren Hund – also mich. Wir telefonierten sofort. Sie sprach von Schicksal, so spontan jemanden für ihren Hund gefunden zu haben. Ich sprach von den Highlands. Und da wir uns telefonisch so gut verstanden hatten, lud sie mich ein, schon einen Abend früher – also morgen – zu ihnen zum Abendessen zu kommen. Das ist das Ende des Regens. Danke, Highlands.

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WMR2+XX Newbigging, Ballater, Vereinigtes Königreich

Nachdem mich das Unwetter heute Vormittag aus den Highlands und ins Café getrieben und mir dabei den glücklichen Umstand eines baldigen Cottages geschenkt hatte, beschloss ich, für die Nacht in Richtung meines baldigen Wohnortes zu fahren. Das Cottage lag etwa drei Stunden nördlich des Cafés.

Der Weg führte mich auf einer schmalen Straße mitten durch die Highlands – die mich auf halbem Weg plötzlich mit einem derart einladenden Sonnenschein überraschten, dass ich mein Auto parkte und loswanderte.

Nach etwa zwei Stunden gelangte ich an einen einsamen See und fühlte sofort, dass dies mein Schlafplatz werden sollte. Kein Mensch weit und breit in dieser friedlichen Schönheit. Es ist mir unerklärlich, wieso kein einziger der 8 Milliarden Menschen auf die Idee kam, an diesem besonderen Ort übernachten zu wollen.

Und wie ich nach meinem abendlichen Bad aus dem See komme und frierend vor dem Zelt stehe, bricht erneut die Abendsonne durch.

Und nun frage ich mich, wie man auch nur einmal der Schönheit der Welt begegnet sein könnte, ohne sich über das Leben zu wundern?

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Black Isle

In der Früh um fünf empfanden es die Enten und das restliche Seevogelgetier als angezeigt, für alle Anlieger des Sees hellauf schnatternd den Tag einzuläuten.

Mir blieb in meiner unfreiwilligen Schlaflosigkeit nichts anderes übrig, als mir zu dieser frühen Stunde einen Liter Kaffee zu kochen, das Zelt einzupacken und aufzubrechen.

Imerhin blieb mir so Zeit für eine lange Wanderung, bevor ich später zum Abendessen erwartet wurde – in meinem neuen Cottage.

Nachdem ich mich seit Wochen von nichts anderem als Instantkaffee mit Hafermilchpulver, Pesto-Pasta und Haferriegeln ernähre, war das von Brian gekochte Pilz-Spargel-Risotto eine wahre Offenbarung.

Ich schloss die schottisch-irische Familie mit ihrem ironisch-warmen Humor sofort ins Herz. Brian arbeitet als Berater im Kunst- und Kultursektor, seine Frau Emer ist Künstlerin. Den Abend verbrachten wir bei Rotwein damit, uns über Weltbilder und Lebensphänomene auszutauschen und uns wundersame Geschichten zu erzählen. Und während es draußen nass, dunkel und kalt wurde, war ich aus vielfältigen Gründen dankbar dafür, an diesem Ort gelandet zu sein.

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GQJ2+PC Drumderfit, Inverness, Vereinigtes Königreich

Einen faulen Vormittag lang verbrachten Alba und ich auf dem Sofa und ließen die Welt an uns vorüberziehen.

Später bediente ich – nun schon wesentlich produktiver – die Waschmaschine und gab mich dem Versuch hin, dem Chaos in meinem Auto versöhnlich zu begegnen – gab dies jedoch schnell wieder auf, da es aussichtslos war.

Stattdessen lud ich Alba zu einem schottischen Roadtrip ein. Dafür war er sofort zu begeistern. Alba ist ein Hund, der das Abenteuer nicht zu scheuen scheint.

Eine Weile durchstreiften wir wundersame Wälder und schließlich fanden wir das Meer.

Alba entwickelte dabei das Spiel, mich einen Ball werfen zu lassen, diesem hinterherzurennen – ihn dann aber nicht etwa zu mir zurückzubringen, sondern sich mitsamt Ball von mir abholen zu lassen. Und so wurde unsere Route von meinen Wurffähigkeiten bestimmt - größtenteils waren wir offroad unterwegs.

Wieder zurück in meinem Haus suchte ich nach einem passenden Ort für den Abend, um zu schreiben. Die Besitzer hatten das Haus vor 30 Jahren als enges, dunkles Cottage gekauft und Gefallen daran gefunden, kontinuierlich Räume und Fenster anzubauen. Und als es sich bereits in alle Richtungen ausgedehnt hatte und die beiden noch immer Fenster anbauen wollten, kam ein findiger Architekt auf die Idee, einfach einen Glaskasten auf das Dach zu setzen.

Von hier aus überblickt man in alle Richtungen die schottischen Weiten, irgendwo grasen ein paar Kühe, in der Ferne ruht das Meer. Kurz – genau diesen Ort habe ich gesucht.

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Hillockhead

Ein Tag am ewigen Meer.

Stundenlang strichen Alba und ich den menschenleeren Strand entlang. Nie lässt es sich besser nachdenken als in dieser Einsamkeit, in der man von keinem Menschen durch dessen bloße Anwesenheit aus seiner Sphäre zurückgeholt wird, wodurch zwangsläufig alle Gedanken in sich zusammenfallen.

Anfangs hatte ich Bedenken, dass der unwegsame Küstenpfad zu schwierig für Alba sein könnte, doch es stellte sich heraus, dass er ein begnadeter Kletterhund ist.

Irgendwann begann ich zu realisieren, dass meine Zeit in Schottland schon bald vorüber sein würde. Nicht mehr als drei zu kurze Tage verbleiben. Dann blickten Alba und ich lange aufs Meer, dass seit Jahrmillionen unbeeindruckt weilt, wurden uns unserer eigenen Zeitlichkeit bewusst und schafften es dennoch nicht, den Moment anzuhalten.

Irgendwann später traten wir dann wehmütig den Rückweg an.

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Ullapool

Als ich in der Nähe von Ullapool zu meiner Wanderung aufbrach, wunderte ich mich über die zahlreichen deutschen Touristen, die gerade dabei waren, sich mit wunderlichem Schuhwerk in die Highlands zu begeben.

Die Ursache war schnell gefunden: Ein Kreuzfahrtschiff lag unweit vor Anker. Nun strömten also Menschen in die Highlands, die Vollklimatisierung, Vollverpflegung und Spa als Lebensnorm annahmen. Die Enttäuschung war vorprogrammiert, auf beiden Seiten.

Schon nach den ersten Höhenmetern gaben die meisten auf. Nur ein tapferer Ehemann versuchte noch, den Hausberg von Ullapool zu erklimmen, während seine Frau weiter unten auf ihn wartete, dabei von Midges belästigt wurde und ihren Ehemann höchstpersönlich für deren Existenz verantwortlich machte (endlich weiß also auch ich, wer Schuld an diesen Kreaturen hat). Ich war nahe daran, ihr zu erklären, dass sie doch nur 4 km/h laufen müsste, um ihnen zu entkommen, erkannte jedoch gerade noch rechtzeitig, dass die Midges als wichtige Stellvertreter für sehr viel tieferliegende Eheprobleme dienten. Ich beeilte mich, dem Kriegsschauplatz zu entkommen, indem ich Alba einpackte und mich schleunigst aus dem Staub machte. Ein paar Höhenmeter später, zurück in der friedlichen Stille der Highlands, war ich dann nicht unglücklich darüber, mit einem einfachen, aber besonnenen Hund unterwegs zu sein.

Als ich zurück nach Hause kam, war der eigentliche Hausbesitzer Bryan zurückgekehrt. Und es stellte sich heraus, dass: er seit 20 Jahren Theaterstücke schreibt. Ich wohnte also drei Tage lang in dem Haus eines Theaterautorens. Ein weiterer dieser schottischen Zufälle. Wir tauschten uns über den Prozess des Schreibens aus und über die Bedeutung des Theaters (es muss nicht erwähnt werden, dass wir diese beide als unermesslich hoch einschätzen).

Als Dank, dass ich die letzten Tage auf Alba aufgepasst habe, schenkte er mir ein Buch, von dem er meinte, dass es quasi für mich geschrieben wurde. “The Living Mountain” von der Schriftstellerin Nan Shepherd, 1940. Sie begab sich regelmäßig in die Cairngorms (meine Lieblingsregion der Highlands, in der auch etwa mein Tal der Eulen liegt) und verfasste darüber dieses poetisch-spirituelle Buch. Bryan meinte, es würde ihn wundern, wenn ich es nicht lieben würde. Und er behielt Recht:

I am not out of myself, but in myself. I am. To know Being, this is the final grace accorded from the mountain.

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Tal der Eulen

Der letzte Tag kommt immer zu früh. Schon morgen werde ich meine geliebten Highlands verlassen haben. Ich nahm Abschied in meinem Tal der Eulen.

Gerade als ich aufbrach, klarte der Himmel auf. Das Wetter fühlte sich an wie ein Geschenk.

Und da es unmöglich ist, zu beschreiben, wie sich ein solcher letzter Tag anfühlt, umgeben von dieser tiefen Schönheit, versuche ich es mit Musik: https://tidal.com/track/77724043?u

Und so endet mein Abenteuer, in dem ich versuchte, Charlie’s Geheimnis zu ergründen.

Vielleicht lautet ein Teil des Geheimnisses Hingabe – vertrauensvolle Hingabe. Während meiner ganzen Reise hatte ich das Gefühl, dass immer im rechten Augenblick ein Hinweisgeber am Wegrand stand, zum notwendigen Zeitpunkt eine Waschmaschine von mir befüllt werden wollte und verschmuste Tiere darauf warteten, ihr Daunenbett mit mir zu teilen. Oder, wahrscheinlich noch viel wichtiger, ein einsamer Bergführer an der Weggabelung saß und mich davon abhielt, die sehr falsche Abzweigung in das Unwetter und in den Steilhang zu nehmen.

Doch vor allem habe ich inmitten der Highlands Momente von solch tiefer Schönheit erlebt, wie sie nicht in Worte zu fassen sind. Augenblicke reinen Seins. Momente, die zu groß sind, als dass man sie begreifen könnte – die Erhabenheit der Highlands.

Um Nan Shepherd zu wiederholen – “To know Being, this is the final grace accorded from the mountain”.

https://tidal.com/track/77724050?u

Und als wollten sie sich auch von mir verabschieden, veranstalteten die Highlands, gerade als ich mich Spätabends in mein Zelt zurückziehen wollte, einen Abendhimmel wie ein Feuerwerk.

Danke, Highlands. Ich werde euch vermissen.